Dienstag, 29. Mai 2012

„Empört euch!“

Quelle des Bildes wikipedia
Stephane Hessel,
ein 95jähriger deutsch-französischer Resistance-Kämpfer u. Buchenwaldhäftling, Mitbegründer der „Allgemeinen Menschenrechte der UNO von 1948, der mit seinem Weltbestseller „Empört euch!“ weltweit millionenfach Beachtung gefunden hat.

„Wir  alle  sind  aufgerufen, unsere  Gesellschaft  zu  bewahren,  dass  wir  stolz auf sie sein können:  doch  nicht diese Gesellschaftaft  der in die  Illegalität  Gedrängten, des  Misstrauens gegen  Zuwanderer, in welcher die Sicherung des Alters, die Leistungen der Sozialversicherung brüchig geworden sind, in welcher die Reichen die Medien beherrschen – nichts davon hätten wir zugelassen, wenn wir uns dem Vermächtnis des nationalen Widerstandes wirklich verpflichtet gefühlt hätten.
1945, als das grauenhafte Drama beendet war, setzten die im Nationalen Widerstand vereinigten Kräfte eine Erneuerung ohnegleichen ins Werk. Damals wurde in Frankreich das System der sozialen Sicherheit geschaffen, wie es die Resistance in ihrem Programm vorgestellt hatte, ein vollständiger Plan sozialer Sicherheit mit dem Ziel, allen Bürgern, denen dies nicht durch eigene Arbeit möglich ist, die Existenzgrundlage
zu gewährleisten, einen Ruhestand, der den Arbeitnehmern ein Alter in Würde gestattet. Die Energieversorgung, Strom und Gas, der Kohlebergbau, die Großbanken sollten verstaatlicht werden. In diesem Sinne forderte das Programm die Rückgabe der großen monopolisierten Produktionsmittel, die Früchte gemeinsamer Arbeit, die Energiequellen, der Bodenschätze, der Versicherungsgesellschaften und der Großbanken an die Nation, die Errichtung einer echten wirtschaftlichen und sozialen Demokratie unter Ausschaltung des Einflusses der großen im Wirtschafts- und Finanzbereich bestehenden privaten Herrschaftsdomänen auf die Gestaltung der Wirtschaft. Das Gemeinwohl sollte über den Interessen des Einzelnen stehen, die gerechte Verteilung des in der Arbeitswelt geschaffnen Wohlstands über der Macht des Geldes. Eine rationelle Wirtschaftsverfassung, in der die Individualinteressen dem Allgemeininteresse untergeordnet sind, ohne Diktatur der Sachzwänge. Dies als Auftrag an die provisorische Regierung der Republik.
Eine echte Demokratie braucht eine unabhängige Presse. Die Resistance wusste es, forderte sie, traf für die Freiheit der Presse, ihre Ehre und ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, der Macht des Geldes und den Einflüssen aus dem Ausland ein. Das wurde bereits 1944 in der Presseverordnung umgesetzt. Und genau dies ist heute in Frage gestellt.
Die Resistance forderte, dass alle französischen Kinder die effektiven Möglichkeiten haben sollen, die bestmögliche Erziehung zu haben, ohne Diskriminierung. Die 2008 vorgeschlagenen Reformen sind nicht damit in Einklang zu bringen. Jungen Lehrerinnen und Lehrern, die sich – was ich unterstütze – weigerten, diese Reformen umzusetzen, wurden zur Strafe die Gehälter gekürzt. Sie haben sich aufgelehnt, den Gehorsam verweigert, weil sie diese Reformen nicht im Einklang mit den Idealen der republikanischen Schule sahen, die zu sehr einer Gesellschaft des Geldes dient und nicht genügend Raum für Kreativität und kritisches Denken gibt. Dieses gesamte Fundament der sozialen Errungenschaften der Resistance ist heute in Frage gestellt.
Man wagt uns zu sagen, der Staat könne die Kosten dieser sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen. Aber wie kann heute das Geld fehlen, da doch der Wohlstand so viel größer ist als zur Zeit der Befreiung, als Europa in Trümmern lag. Doch nur deshalb, weil die Macht des Geldes, die so sehr von der Resistance bekämpft wurde – niemals so groß, so anmaßend, so egoistisch war wie heute, mit Lobbyisten bis in die höchsten Ränge des Staates. In vielen Schaltstellen der wieder privatisierten Geldinstitute sitzen Bonibanker und Gewinnmaximierer, die sich keinen Deut ums Gemeinwohl scheren. Noch nie war der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten so groß. Noch nie war der Tanz ums Goldene Kalb – Geld, Konkurrenz – so entfesselt.
Das Grundmotiv der Resistance war die Empörung. Wir, die Veteranen der Widerstandsbewegungen und der Kampfgruppen des Freien Frankreich, rufen die Jugend auf, das geistige und moralische Erbe der Resistance, deren Ideale mit neuem Leben zu erfüllen und weiterzugeben. Mischt euch ein, empört euch!
Die verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, die Intellektuellen, die ganze Gesellschaft dürfen sich nicht kleinmachen lassen von der internationalen Diktatur der Finanzmärkte, die es so weit gebracht hat, Frieden und Demokratie zu gefährden.

Energiewende – regionales Wirtschaften – Regionale Stoffkreisläufe!


Im Neuen Deutschland von heute findet sich ein Beitrag zu den jüngsten Diskussionen zur Energiewende. Der Beitrag mit dem Titel: „Zweifelan Energiewende – trotz Solarrekord“ ist im Internet leider nur mittels Online-Abo zu lesen, trotzdem sei hier auf meine Leserbrief verwiesen, welchen ich zum Beitrag an die Zeitung geschrieben und per E-Mail gesendet habe.

LESERBRIEF

Zu ND.v. 29.5.12, S.8 „Zweifel an Energiewende – trotz Solarrekord“

Herr Brüderle, Fraktionschef der FDP, zweifelt an der Energiewende, weil durch den angeblich notwendigen Bau von über 4000 km Überlandleitungen der Strompreis steigen werde. Ich zweifle an Herrn Brüderles Kompetenz, denn bereits der leider verstorbene Dr. Hermann Scheer, international anerkannter Experte für Solarenergie, wies darauf hin, dass die Vernunft verlangt, Solaranlagen regional zu bauen,  um teure Überlandleitungen zu vermeiden. Er fügte hinzu, das setze aber eine Regierung voraus, die nicht im Interesse der Stromkonzerne entscheidet, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der Städte und Dörfer. Da gibt es eine ganz einfache Lösung: Gelb-Schwarz, die im Interesse der Stromkonzerne, zum Schaden der einfachen Bürger entscheiden, 2013 ABWÄHLEN!
Günter Rahm                                                                                      Quedlinburg, 29.5.12

P.S. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf verweisen, dass heute im Quedlinburger Gartenlokal Boxhornschanze, eine Veranstaltung zum Thema „regionales Wirtschaften“ durchgeführt wird. Diese Veranstaltung beginnt um 18:00Uhr, wozu wir weitere interessierte Bürger einladen.

Montag, 21. Mai 2012

Wie der Bürgerkrieg in Jugoslawien angeheizt wurde

(Aus „telegraph“  2/99, S. 50ff)
Der kanadische Ökonom Michel Chosudovsky: Die Westmächte haben seit Beginn der 80er Jahre systematisch mitgeholfen, die jugoslawische Wirtschaft zu vernichten und daraus resultierende soziale Probleme sowie ethnische Konflikte anzuheizen. Trotz Belgrads politischer Neutralität und seiner ausgedehnten Handelsbeziehungen zu den USA und der EU nahm die Reagan-Administratur die jugoslawische Wirtschaft in der Geheimdirektive von 1984 (National Security Decision Directive NSDD 133)  ins Visier.
(Titel: „Die Politik der USA in Bezug auf Jugoslawien)
ZIELE: Fortgesetzte Anstrengungen zur Entfachung von „stillen Revolutionen“,
              Überwindung der kommunistischen Regierung,
              Herstellung einer Abhängigkeit Jugoslawiens von IWF, Weltbank und
              anderen Institutionen des führenden Industriestaates des Westens,
              strategische kriegerische Intervention des Westens in Jugoslawien,
              Destabilisierung von 1980 bis 1990, Rekolonialisierung nach 1990.
REALISIERUNG der Geheimdirektive:
Seit Beginn der 80er Jahre diktierten ausländische Kredite weitreichende „Reformen“, die zur Zerstörung des industriellen Sektors führten und zugleich das Sozialsystem des Landes erodieren ließen. Damit wurde nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik in Jugoslawien chaotisiert. Denn die separatistischen Tendenzen, die sich auf ethnische und soziale Unterschiede stützten, gewannen während der Phase brutaler Verarmung unter der jugoslawischen Bevölkerung an Gewicht. Die makroökonomischen Reformen, die kurz vor dem Tod Marschall Titos im Jahre 1980 begannen, hatten politisch und ökonomisch desaströse Auswirkungen: Langsames Wirtschaftswachstum, das Anwachsen der Auslandsschulden und insbesondere der Zinsbelastung, begleitet  von Inflation, brachten den Lebensstandard des durchschnittlichen Jugoslawen zu einem erdrutschartigen Absinken. Die Wirtschaftskrise bedrohte die politische Stabilität. Sie führte auch zu einer Verstärkung untergründiger ethnischer Spannungen.  (Gervasi 1993). Die Wirtschaftsreform erreichte ihren Höhepunkt unter der US freundlichen Regierung von Ante Marcovic. Ein „Finanzhilfsprogramm“ versprach im Austausch dafür drastische Wirtschaftsreformen, die Einführung einer neuen, abgewerteten Währung, Einfrieren der Löhne, drastische Kürzung der Staatsausgaben und die Abschaffung der selbst verwalteten vergesellschafteten Betriebe. Diese „Wirtschaftstherapie“ trug zur Lähmung des Bundesstaates bei. Vor allem die Umschuldungsverträge der staatlichen und kommerziellen Kredite führten  zu politischen Spannungen zwischen der Hauptstadt Belgrad und den Teilrepubliken. Steuergelder, die als Ausgleichszahlungen an die Teilrepubliken und die autonomen Provinzen hätten gehen sollen, dienten zur Schuldentilgung bei den Pariser und Londoner Finanzclubs. Die vom IWF induzierte Budgetkrise schuf so in wirtschaftlicher Hinsicht jene Tatsachen, die den Weg für die formale Abspaltung Kroatiens und Sloweniens im Juni 1991 frei machten. Die industrielle Strukturreform von 1989 war ein weiterer Meilenstein auf dem Weg des industriellen Sektors in den Bankrott.
1990 war das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um -7,5% gefallen. !991 fiel es um weiter 15%, die industrielle Produktion sank um 21%. Die Strukturreform, die von Belgrads Kreditoren diktiert worden war, hatte die Abschaffung der vergesellschafteten Betriebe zum Ziel. Das Unternehmensgesetz von 1989 verlangte die Abschaffung der Grundstrukturen gemeinschaftlicher Arbeit, die eine Form vergesellschafteter Produktionsgemeinschaften unter der Leitung der Betriebsräte darstellten. Das Gesetz schrieb die Verwandlung dieser Strukturen in privatkapitalistische Unternehmen vor. Die Betriebsräte sollten durch sog. „Sozialkomitees“ unter der Kontrolle des Betriebseigners ersetzt werden. (Nebenbei: Sogar die Sprecherin der Opposition in Jugoslawien ist für gemischte Eigentumsformen, eine gesunde Mischung von Staatsbetrieben, Genossenschaften, Privatbetrieben usw., doch so weit geht das Selbstbestimmungsrecht der Völker nach dem Verständnis der USA nicht!)
Die Restrukturierung der Wirtschaft wurde mit wesentlicher „Unterstützung“ westlicher Rechtsanwälte und -berater – durch eine Anzahl neuer Gesetze abgesichert. So trat ein neues Bankengesetz in Kraft, das die Liquidation der gemeinsamen Banken vorsah. Über die Hälfte aller jugoslawischen Banken wurde geschlossen, der Druck lag eindeutig auf der Schaffung profitorientierter Institutionen.
Die von IWF und Weltbank gesponserten Reformen waren ein Bankrottprogramm, die Kredite an die industriellen Sektoren wurden eingefroren – der Auflösungsprozess damit beschleunigt. Unternehmer mussten im Falle einer 45 Tage andauernden Zahlungsunfähigkeit innerhalb von 15 Tagen eine Einigung mit ihren Kreditoren erreichen, sonst wurde der Konkurs eingeleitet.
Da Regierungsinvestitionen durch das Gesetz verboten wurden, konnten Kreditoren ihre Kredite routinemäßig als Machtmittel über die zahlungsunfähigen Unternehmen missbrauchen.
Die Deregulierung des Außenhandelns im Januar 1990 provozierte eine Flut von Warenimporten aus dem Ausland, die einheimische Produktion wurde destabilisiert. Der mit geliehenen Geldern getragene Importboom steigerte den Schuldendruck. Die abrupten Anstiege bei Zinsen und Einkaufspreisen führten gleichzeitig zum Ausschluss einheimischer Produkte vom innerjugoslawischen Markt. 1989/90 wurden so über 1ooo Unternehmen in den Bankrott getrieben oder aufgelöst. Mit anderen Worten, die gesetzlichen Regulierungen führten innerhalb von zwei Jahren über 600 000 Arbeiter  zur Arbeitslosigkeit, und das bei einer nur 2,7 Millionen starken industriellen Arbeiterschaft. Die höchste Zahl von Bankrotten und neuen Arbeitslosen entfiel auf Serbien, Bosnien, Herzegowina, Mazedonien und den Kosovo,. (Die Weltbank 1991).
Viele vergesellschaftete Betriebe versuchten den Bankrott zu vermeiden, indem sie
keine Löhne zahlten. Eine halbe Million Arbeiter erhielt während der ersten Monate von 1990 keinen Lohn, um die Forderungen der Kreditoren im Rahmen der Übereinkünfte zu erfüllen, wie es das Gesetz zur Regelung der Finanzwirtschaft vorsah.
All dies verursachte bei der Bevölkerung eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und sozialen Verzweiflung. Die Oligarchien der Teilrepubliken, die alle von einer „Nationalen Erneuerung“ träumten, hatten die Wahl zwischen Krieg und einem echten jugoslawischen gemeinsamen Markt plus Hyperinflation. Sie wählten den Krieg. Dieser Krieg sollte die wahren Ursachen der wirtschaftlichen Katastrophe verbergen.
(Boarov 1992).
Der Ruin  eines ganzen Wirtschaftssystems, der Ausverkauf ganzer Industriezweige, die Gewinnung „neuer Märkte“ und das  Gerangel um Einflusssphären auf dem Balkan sind die wahren Ursachen der Konflikte. Die Reformen und der Krieg in Jugoslawien sind nur die extremen Spielarten eines destruktiven ökonomischen Modells, das der Neoliberalismus Ländern der ganzen Welt aufoktroyiert.
Literatur:. Boarov, Dimitrije, Vreme-Nachrichtendienst Nr. 29 v. 13.4. 1992,
                    Gervasi, Sean: Deutschland, die USA und die Krise in Jugoslawien,
                              Vovert Action Quarter Nr. 43 Winter 1992/93,
                    MILS-News 1995: Mazedonischer Informationsdienst, 11.4.1995
Günter Rahm, Quedlinburg, 3.1.12)